Merveilleux Marseille

Samstagnachmittag kamen wir an im regnerischen Marseille. Unsere Unterkunft war glücklicherweise nur zehn Minuten zu Fuß vom Bahnhof entfernt und uns fiel sofort die Großstadtatmosphäre auf, die sich stark von der Entspanntheit in Montpellier unterscheidet. Marseille ist die drittgrößte Stadt Frankreichs und besitzt zugleich die höchste Kriminalitätsrate.

Angekommen im airbnb beschlossen wir, aufgrund des Regens erst am nächsten Tag mit unserem „Programm“ loszulegen und verließen das Haus nur noch, um einzukaufen und etwas zu essen.

Am Sonntag machten wir einen Spaziergang zum Hafen „Vieux Port“ und von dort in das Panier Viertel. Dafür, dass es im Internet so stark empfohlen wurde fanden wir es gar nicht so besonders, aber vielleicht lag das auch nur am Wetter. Es war bewölkt und etwas grau. Später ließ sich glücklicherweise doch noch die Sonne blicken.

Dann machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof und von dort in die kleine Universitätsstadt Aix-en-Provence, dessen Einwohnerzahl ungefähr der von Clermont-Ferrand entspricht. Zunächst hatten wir ein kleines Problem bei der Hinfahrt, da unser Zug uns zu einem Bahnhof außerhalb der Stadt führte und wir von dort noch einen Bus nehmen mussten. Wir hatten uns auch schon gewundert, warum die Fahrt scheinbar nur 12 Minuten dauern sollte, zum gleichen Preis wie der 40-Minuten-Zug! Im Nachhinein ist man immer schlauer.

Obwohl Sonntag war, hatten fast alle Läden geöffnet. Wir aßen im Burger-Restaurant „Five Guys“ zu Mittag (ich wollte den Hype verstehen, den dieses Lokal weltweit genießt – war dafür aber etwas enttäuscht) und genossen die Sonne, die sich hinter keinen Wolken mehr versteckte und die Stadt in schöne Farben tauchte. Aix-en-Provence ist wirklich süß und einfach angenehm. Die Straßen sind schön und es gibt ein gemütliches Café nach dem anderen. Fast packte mich ein bisschen der Neid, nicht dort studieren zu dürfen.

Am Montag hatte Marvin Geburtstag und wir verbrachten den Tag damit, Marseille noch ein wenig zu erkunden. Wir besuchten den Cours Julien mit seinen zahlreichen Graffiti, liefen dann zum Palais Longchamps, der wirklich eindrucksvoll ist, und als wir nichts geeignetes zum Mittagessen fanden kehrten wir zurück in die Unterkunft und machten schnelle Nudeln mit Pesto. Wenig später machten wir uns auch schon wieder los und erwischten zufälligerweise den letzten Bus, der bis ganz nach oben zur Kathedrale Notre-Dame-de-la-Garde fuhr.

Der Ausblick über die Stadt war atemberaubend und wir erwischten sogar noch die letzten Minuten des Sonnenuntergangs. Und das beste war wohl: wir waren komplett alleine. Zugegeben, es war eiskalt und wir froren ziemlich aber dafür hatten wir die Aussicht exklusiv für uns und beobachteten, wie Dunkelheit einbrach und die Lichter der Häuser angingen. Trotz der Kälte war es ein wundervolles Erlebnis und ein schönes Geburtstagsschauspiel.

Wenige Minuten von dort befand sich auch das libanesische Restaurant, in dem wir einen Tisch reserviert hatten. Wir bestellten ein super leckeres Essen und hatten einen wundervollen restlichen Abend.

Am nächsten Tag hieß es bereits: Zeug packen und aus dem airbnb auschecken. Da wir noch fast vier Stunden hatten bis unser Bus fuhr, setzten wir uns in das vegetarische/vegane Café „L’écomotive“ in der Nähe vom Bahnhof, das übrigens sehr zu empfehlen ist. Zu Mittag holten wir uns noch jeweils einen Döner und liefen dann zum Busbahnhof, wo wir auf den Bus warteten. Und warteten. Und warteten. 

Ein Mitarbeiter von Flixbus erklärte uns, dass er auch keine genaueren Infos habe bezüglich des aktuellen Standortes des Busses. Es waren knapp unter Null Grad, wir froren und warteten ungeduldig auf neue Infos. Irgendwann nahm ich die Sache selbst in die Hand und rief bei Flixbus an, allerdings hatten wir bereits fast zwei Stunden in der Kälte gestanden ehe wir erfuhren, dass der Bus abgesagt wurde und unsere einzige Alternative war, mit einem um 23:55 zu fahren. Nach Toulouse. Um von dort am nächsten Morgen nach Clermont-Ferrand weiterzufahren und 14:50 dort anzukommen. Großartig. Marvin würde also einen Arbeitstag verpassen und ich könnte nicht in die Uni gehen. Und wir mussten noch unerwartete acht Stunden in der Stadt verbringen, ohne Unterkunft, dafür aber mit einem riesigen Koffer. Das beste, das uns einfiel, war uns erstmal wieder in das „L’Écomotive“ Café zu setzen, da wir unsere Finger und Zehen vor Kälte mittlerweile nicht mehr spüren konnten. Dort bestellten wir zwei Tees, hatten aber nur eine Stunde Zeit da es um 19 Uhr bereits schloss. Unsere nächste Idee war ein Einkaufszentrum in der Nähe des Hafens, in dem wir uns an Strom-Fahrräder setzten, an denen man durch das Strampeln eigenen Strom für seine elektronischen Geräte generieren kann. Kurz vor 20 Uhr kam ein Sicherheitswächter auf uns zu und meinte, dass das Zentrum schließe. Widerwillig begaben wir uns wieder in die eisige Kälte, die von Stunde zu Stunde schlimmer wurde, und hörten noch den Wächter hinter uns der uns zurief, wir sollten uns nicht allzu lange in der Gegend aufhalten. Wie beruhigend!

Was jetzt? Wir waren uns einig, dass wir uns nicht allzu weit vom Bahnhof entfernen wollten, da wir nicht mitten in der Nacht noch durch die Straßen laufen wollten, die in der Dunkelheit ein wenig bedrohlich und finster wirkten. Also setzten wir uns in den Dönerladen, bei dem wir zuvor zu Mittag gegessen hatten. Der hatte immerhin bis 22 Uhr geöffnet. Irgendwie bekamen wir die Zeit rum und konnten die Absurdität dieser Situation immer noch nicht fassen. Die letzten zwei Stunden verbrachten wir schließlich bei McDonald’s am Bahnhof. Da wir uns Obdachlosen näher fühlten als jemals zuvor, kauften wir einem, der an einem der Tische schlief, eine Mahlzeit und einen heißen Tee.

Der Bus kam. Die einzigen freien Plätze, die wir noch ergattern konnten, waren hinter einem alten Ehepaar, die in der ersten Reihe saßen und ihre Sitze so sehr zurückgelehnt hatten, dass sie beinahe waagerecht lagen. Ich bat die Frau höflich, die Sitze ein wenig vorzurücken damit wir uns hinsetzen könnten. Ihr Mann und sie rutschten einen gefühlten Millimeter vor und wenig später hörte ich, wie die Frau sich ihrem Mann gegenüber über die Einschränkung beschwerte. Wir hatten kaum Platz während Madame und Monsieur gemütlich ihre Beine ausstreckten. In einer Zwischenpause, in der beide den Bus verließen, rückten wir den Sitz des Mannes ein wenig vor. Zunächst merkte er es nicht, dann aber versuchte er bis zur Ankunft kontinuierlich, seinen Sitz mit vollem Schwung wieder nach hinten zu klappen und haute dabei jedes Mal an Marvins Knie. Als Marvin das Paar darauf aufmerksam machte, waren sie eingeschnappt und maulten uns wütend an. Unfassbar.

Dementsprechend nicht im geringsten erholt stiegen wir in Toulouse aus und begaben uns in das erstbeste Café, da uns die eisige Kälte sofort wieder ins Gesicht schlug. Drei Stunden mussten wir immerhin noch rumkriegen. Wir fühlten uns müde und gereizt und schenkten einem weiteren Obdachlosen eine Banane. Eine sehr ernüchternde Erkenntnis zu sehen, wie so viele Menschen (auffällig viele in Südfrankreich!) auf der Straße leben, sich auf kein warmes Bett in naher Zukunft freuen können und deutlich dürftiger eingekleidet waren als wir. Noch nie hat mich diese Erkenntnis so stark getroffen wie während dieser Reise, als wir selbst so viele Stunden in der Kälte standen.

Um neun Uhr standen wir schließlich wieder am Busbahnhof und warteten auf den Bus nach Hause. Mittlerweile schneite es heftig und wir hofften, ihn jeden Moment um die Ecke kommen zu sehen da unsere Gliedmaßen wieder eingefroren waren. Wir warteten. Und warteten. Und warteten. 

Einige Telefonate mit Flixbus später und zum zweiten Mal stellte heraus, dass auch dieser Bus abgesagt wurde. Bis diese Info bekannt wurde, sprach ich am Telefon mit zahlreichen Mitarbeitern des Unternehmens, die keinen blassen Schimmer hatten, wo sich der Bus gerade befand oder was mit ihm geschehen würde. Ich habe schon lange nicht mehr so eine schlechte Kommunikation erlebt. Jedenfalls wurde uns, ohne Witz, vorgeschlagen, bis zum Abend zu warten und dann einen Bus nach Bordeaux (!) zu nehmen, um dann mitten in der Nacht aus Bordeaux nach Clermont-Ferrand zu fahren, wo wir um 4 Uhr früh eintreffen würden. Zwei Tage später als geplant also. Glücklicherweise fanden wir über BlaBlaCar eine Mitfahrgelegenheit, die um 13 Uhr abfuhr. In der Zwischenzeit setzten wir uns zu Starbucks und waren dankbar dafür, dass wir trotz nerviger Wartezeiten die finanziellen Mittel hatten, um uns ins Warme zu setzen.

Kurz vor 13 Uhr warteten wir am Treffpunkt. Der Fahrer kam nicht, ging aber zum Glück ans Telefon als ich anrief und meinte, er wäre fast da. Ich erwähnte unseren großen Koffer. Er schien ein wenig irritiert und wir hofften nur, dass sein Kofferraum groß genug war. Wir warteten noch locker eine halbe Stunde und dachten zwischenzeitlich, der Mann wäre einfach ohne uns gefahren. Viele Nerven und zwei oder drei weitere Telefonate später trafen wir ihn ein paar Straßen weiter, da er aufgrund von Baustellen nicht zum ausgemachten Treffpunkt fahren konnte.

Die Fahrt verlief glücklicherweise unproblematisch. Marvin und ich nickten beide weg und genossen die Wärme. Irgendwann sprach uns der Fahrer auf die Müdigkeit an und ich sagte, dass wir die letzte Nacht nicht geschlafen hatten.
„Ah, wart ihr feiern?“ fragte er.
Eher das Gegenteil. Wir erzählten die Geschichte der letzten 24 Stunden und es tat irgendwie gut, dieses verrückte Abenteuer mit jemandem zu teilen.

Trotz unserer Müdigkeit hatten wir riesigen Hunger, da wir den gesamten Tag jeweils nur ein kleines Gebäckstück und einen halben Muffin gegessen hatten. Wir kauften also noch ein und machten zu Hause ein schnelles Curry. Es tat unfassbar gut, etwas warmes zu essen und anschließend zu duschen. Wir drehten alle Heizungen auf und merkten, wie unsere Knochen auftauten.

Insgesamt hatten wir also einen sehr gelungenen und erholsamen Kurzurlaub in Südfrankreich und eine schreckliche Rückfahrt. Flixbus ist übrigens auch per E-Mail vollkommen unkooperativ und hat uns lediglich die Kosten für das BlaBlaCar erstattet, sowie eine Entschädigung von zehn Euro pro Person angeboten, die die Ausgaben der Mahlzeiten decken soll. Auf allen anderen Ausgaben, dem Busticket und den restlichen Kosten für Essen und Trinken, bleiben wir also sitzen.

Magnifique Montpellier

Ab in den Süden! Im Rahmen von Marvins Geburtstag fuhren wir in meiner Ferienwoche nach Montpellier und Marseille. Diesen Sonntag erzähle ich ein bisschen über die zwei Tage in Montpellier, nächste Woche folgen unsere Abenteuer aus Marseille (die vor allem gegen Ende sehr turbulent wurden).

Montpellier. Die Stadt mit circa 260.000 Einwohnern hat einen ganz besonderen Flair und wir fühlten uns auf Anhieb wohl, als wir am Busbahnhof ankamen, auf eine der bunten Straßenbahnen warteten und schließlich die sonnige Innenstadt erreichten. Den restlichen ersten Tag widmeten wir dem Sightseeing: nach einem Mittagessen in einem veganen Restaurant, das uns leider überhaupt nicht überzeugte, schlenderten wir durch die Gassen. Wir besuchten den Place de la Comédie, Place de la Canourgue, die Arc de Triomphe, Promenade du Peyrou und den Jardin des plantes. Es war ein entspannter Spaziergang und ich weiß noch, dass wir die Unbeschwertheit genossen und sehr viel gelacht haben. So sehr, dass sich ein paar Fußgänger zu uns umdrehten und eine Frau sogar verstohlen ein Foto von uns knipste.

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DHL auch in Süfrankreich unterwegs!

Am Abend kauften wir bei dem Lidl in der Nähe unseres airbnb etwas zum Frühstück und holten uns Pizza zum Abendessen. Ein entspannter Abschluss eines wundervollen Tages.

Der zweite Tag war mindestens genauso schön. Wir starteten gemütlich in den Morgen und beschlossen spontan, einen Ausflug ans Meer zu machen. Mit Straßenbahnen und Bussen dauerte es eine gute Stunde, aber auch die Fahrt hatte etwas. Wir waren beide in etwas vertieft, ich in den unglaublich erschütternden Bericht eines Nordkorea-Flüchtlings „A River in Darkness“ von Masaji Ishikawa.

Den Strand hatten wir größtenteils für uns. Die Sonne schien aber es war ziemlich kalt. Wir spazierten am Wasser entlang, genossen das Rauschen der Wellen und fühlten uns erholt. Wir konnten beide den Stress des Alltags ausschalten und im wahrsten Sinne des Wortes durchatmen und den Moment genießen. Ein sehr schönes Gefühl.

Bei Sonnenuntergang fuhren wir wieder zurück, hielten aber auf dem Weg zur Unterkunft noch am Place de la Comédie an um etwas zum Abendessen einzukaufen und die Stadt bei Dunkelheit zu fotografieren. Montpellier hat uns gefallen und ist auf jeden Fall einen Besuch wert.

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